Hanke Huber
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15.04.2021
"Typisch für Migräneattacken ist, dass sie sich meist verschlechtern, wenn man sich bewegt", erklärt Professor Dr. Boris Zernikow vom Deutschen Kinderschmerzzentrum in Datteln. Während sich Migräne bei Erwachsenen oft in einem einseitigen, pulsierenden Schmerz äußere, sei der Kopfschmerz bei Kindern häufig beidseitig und pulsiere eher nicht, so die Erfahrung des Schmerzspezialisten. Zu den typischen Symptomen zählen zudem eine Überempfindlichkeit gegenüber Licht und Geräuschen sowie Übelkeit und Erbrechen. Schon vor der eigentlichen Kopfschmerzattacke spüren viele Kinder eine Veränderung. "Viele spielen dann weniger oder ziehen sich zurück. Manche Eltern sehen ihren Kindern die nahende Migräneattacke sogar an, etwa anhand von Augenringen oder einem geröteten Gesicht", sagt der Kinderarzt.
Spannungskopfschmerzen beschreiben Betroff ene dagegen oft als drückend, wie einen zu eng sitzenden Helm. "Wenn sich die Kinder dann entspannen und bewegen, nimmt dieser Schmerz nicht zu, sondern eher ab", sagt Zernikow. Zur Unterscheidung mache er deshalb häufig eine Art Hüpf-Test. "Die Kinder hüpfen einfach etwa eine Minute lang auf der Stelle: Bei einer Migräne merken sie schnell, dass ihnen das nicht guttutoder der Schmerz noch zunimmt. Ein Spannungskopfschmerz verändert sich nicht oder bessert sich sogar." Ein weiterer Hinweis: Licht und Lärm machen Kindern mit Spannungskopfschmerz meist nicht ganz so viel aus.
Die Unterscheidung sei deshalb so wichtig, weil Spannungskopfschmerzen bei Kindern nicht mit Medikamenten behandelt werden, so der Schmerzexperte. Stattdessen helfen in der Regel Ablenkung und Entspannung, zum Beispiel Atemübungen, eine Traumreise, progressive Muskelentspannung oder Kinderyoga. Zernikow: "Mit kleineren Kindern kann man an die frische Luft gehen, einen Ball hin- und herschießen oder Boccia spielen – alles, was dem Kind Spaß macht und es ablenkt." Der ärztlichen Leitlinie zufolge können auch Ibuprofen oder Paracetamol zum Einsatz kommen. Zernikow sieht hier jedoch die Gefahr des Übergebrauchs und rät nachdrücklich davon ab.
Eine Migräneattacke sollte man dagegen immer medikamentös behandeln – je früher in der Attacke, desto besser. Das Mittel der Wahl: die dem Körpergewicht angepasste Dosis an Ibuprofen. "Das ist nach wie vor das am besten wirksame und verträglichste Mittel", so Zernikow. Paracetamol ist eine Alternative. In Ausnahmesituationen, etwa wenn Ibuprofen nicht ausreichend wirkt oder die Migräneattacke sehr stark ist oder schnell an Fahrt aufnimmt, können Kinder- und Jugendärzte auch bei Kindern sogenannte Triptane verschreiben. Diese gibt es zum Beispiel auch als Nasenspray. Zernikow hält nichts davon, bestimmte "Ernährungstrigger" zu vermeiden, die man oft als Auslöser von Migräne vermutet. Der Heißhunger auf bestimmte Lebensmittel – zum Beispiel Schokolade – oder auch eine Abneigung gegen Essen seien eher ein Zeichen für die Vorphase einer Migräne. Zernikow: "Hier werden Ursache und Wirkung verwechselt."
Ein ausgeglichenes Leben mit wenig Stress hilft dagegen in beiden Fällen, die Häufigkeit der Kopfschmerzen zu verringern. So weiß man etwa, dass es eine Migräneattacke begünstigt, wenn der Biorhythmus durcheinandergerät. Aber: "Wenn man eine genetische Veranlagung dafür hat, kann man der entspannteste Mensch auf der Welt sein und alles richtig machen – und bekommt trotzdem eine Migräne", betont Zernikow. Für Kinder sei es daher wichtig zu wissen, dass sie etwas gegen die Migräneattacke in der Hand haben. Das verringere die Angst und somit auch den Stress, was wiederum die Häufigkeit der Migräneanfälle reduziere. Der kurze Film "Migräne? Hab ich im Griff!" erklärt Kindern im Übrigen gut und anschaulich, was es mit der Kopfschmerzattacke auf sich hat.