Bisher gibt es kaum Untersuchungen zu Übergewicht im Zusammenhang mit Bitterstoffen. Professor Dr. Wolfgang Meyerhofer, Experte für Geschmackssinn am Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke, meint: "Ich kenne keine anerkannte Studie, die beweist, dass bitterer Geschmack den Appetit verringert." Im Gegenteil: Traditionell werden Extrakte bitter schmeckender Pflanzen dazu genutzt, den Appetit anzuregen und Verdauungsprobleme zu behandeln. Ein Effekt, der auch vom Aperitif und Magenbitter bekannt ist. Diese Anwendung wird im Gegensatz zur appetithemmenden Wirkung durch einige anerkannte Untersuchungen gestützt. Bitterstoffe setzen zum Beispiel im Magen appetitfördernde Hormone frei.
Skeptisch sind auch Forscher der Universität Bristol aus England, die eine große Auswahl an Studien zum Thema Geschmack und Übergewicht ausgewertet haben. Im "The American Journal of Clinical Nutrition", einer der einflussreichsten Zeitschriften im Bereich der Ernährungsforschung, schreiben sie: "Übergewicht ist ein komplexes Problem. Der Geschmack ist nur eine von vielen Komponenten, aber im Vergleich mit anderen Einflussfaktoren ist sein Stellenwert wahrscheinlich nur gering."
Allerdings: Bitterer Geschmack ist in der Tierwelt ein Zeichen für Gift und signalisiert, sofort mit dem Essen aufzuhören. Aufgegriffen wurde die Idee, Bitterstoffe zum Abnehmen zu verwenden, durch die NDR-Fernsehsendung Visite. Dort sprach unter anderem Dr. Anne Fleck, Chefärztin LANS Medicum Hamburg, Abteilung Innere Medizin, über ihre positiven Erfahrungen mit Bitterstoffen. Mit der auf die Sendung folgenden großen Aufmerksamkeit hatte Sie jedoch nicht gerechnet. "In manchen Apotheken waren gar keine Bitterstoffe mehr zu bekommen."
Damit Abnehmwillige sich nicht zu viel erhoffen, möchte die Ernährungsmedizinerin klarstellen: "Bitterstoffe sind keine Wundermittel. Wenn sich Patienten an mich wenden, um endlich Gewicht zu verlieren, beginnen wir mit einer wissenschaftlich fundierten Diät und vermeiden Appetit auslösende Nahrungsmittel wie Süßigkeiten. Hören die Heißhungerattacken dann noch immer nicht auf, empfehle ich über fünf Tage dreimal am Tag drei Tropfen Bitterstoffextrakt auf die Zunge zu träufeln. Damit habe ich in meiner Praxis gute Ergebnisse erzielt."
Ganz unstrittig und sicher ist: Wer seinen Lebenswandel hinterfragt und umstellt, hat die besten Chancen, dauerhaft abzunehmen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt vor allem, weniger Fett und Zucker aufzunehmen. Stattdessen sollten mehr Früchte, Gemüse sowie Hülsenfrüchte, Vollkornprodukte und Nüsse auf dem Speiseplan stehen. Außerdem sind 150 Minuten körperlicher Aktivität pro Woche das Minimum, um angesammelte Kalorien auch wieder zu verbrennen. Wer es bereits ohne Erfolg versucht hat, dem kann ein Fachmann mit ernährungs- oder diätbezogener Aus- oder Weiterbildung helfen. Sinnvoll sind auch Programme, bei denen Abnehmwillige in Apotheken vor Ort betreut und geschult werden, um schrittweise das Gewicht zu senken und dann zu halten.
Pharmazeut Lukas Fürst