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Nahrungsmittel: Allergie oder Unverträglichkeit?

Apotheker Rüdiger Freund  |  15.05.2024

Wenn nach dem Essen bestimmter Nahrungsmittel Hals und Rachen jucken, der Bauch grummelt oder Durchfall auftritt, kann eine Allergie dahinterstecken – oder eine Unverträglichkeit. Dieser Unterschied spielt eine entscheidende Rolle, um die richtige Behandlung zu finden.

Frau, hält eine Hand an den Bauch und in einer Hand ein Glas Milch.
Eine Unverträglichkeit gegen Laktose tritt vergleichsweise häufig auf.
© Piotrekswat/iStockphoto

Ob sie ein Nahrungsmittel vertragen oder nicht, schätzen viele Erwachsene falsch ein. In der europäischen Leitlinie zur Nahrungsmittel-Allergie heißt es, dass 17,4 Prozent der Bevölkerung davon ausgehen, unter einer Nahrungsmittel-Allergie zu leiden. In Allergietests bestätigt sich das allerdings nur bei 2,2 Prozent. Das verdeutlichte Privatdozent Dr. Stefan Wöhrl, Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten vom Floridsdorfer Allergiezentrum in Wien bei einem Vortrag vor Apothekern in Schladming, Österreich.

Die Symptome von Allergie und Unverträglichkeit ähneln sich häufig: etwa Bauchschmerzen, Krämpfe, Durchfälle und Blähungen. Ihnen liegen jedoch völlig unterschiedliche Reaktionen des Körpers auf bestimmte Nahrungsmittel-Bestandteile zugrunde.

Überreaktion des Immunsystems

Eine Allergie kommt über das Immunsystem zustande. "Es ist eine erworbene Überreaktion des Immunsystems gegen einen an sich harmlosen Umweltstoff", erklärte der Dermatologe. Dabei unterscheiden Fachleute zwei Gruppen. Bei den eher seltenen Typ A oder primären Allergien stellt das Nahrungsmittel selbst den Auslöser dar, erklärte Wöhrl, beispielsweise Nüsse, Kuhmilch, Hühnereier sowie Fisch und Meeresfrüchte. Die Reaktionen seien potenziell schwerwiegend und häufig bei Kindern zu beobachten, die auch unter  Neurodermitis leiden. Bei den Kuhmilch- und Hühnerei-Allergien bestehe eine gute Chance, dass sie bis zum Grundschulalter wieder verschwinden. Solche gegen Nüsse, Fisch und Meeresfrüchte blieben laut Wöhrl tendenziell eher erhalten.

Die Behandlung setzt vor allem darauf, den Kontakt mit den Allergenen zu vermeiden. Als Arzneimittel kommen Antihistaminika und Kortison in Betracht, für den Notfall auch Adrenalin-Autoinjektoren, die die Patienten oder ihre Angehörigen selbst anwenden. Häufiger seien die sekundären Nahrungsmittel-Allergien, auch Allergien vom Typ B genannt. Dabei komme es zu Kreuzreaktionen bei Personen, die in erster Linie auf Allergieauslöser aus der Atemluft, wie Pollen oder Hausstaub, sensibilisiert sind. Birkenpollen-Allergiker bekommen oft Probleme mit Obst. Menschen, die auf Hausstaubmilben reagieren, dagegen eher auf Meeresfrüchte. Die Reaktionen auf Nahrungsmittel, wie Äpfel, Birnen oder Nüsse, fielen beim Typ B jedoch milder aus. Oft gingen sie nicht über ein Jucken im Mund-Rachen-Bereich hinaus. Vor allem Erwachsene seien betroffen. Im Normalfall ist nach Aussage des Arztes keine spezielle Behandlung erforderlich, weil sich die Symptome meist schnell wieder beruhigten. Am besten vermeidet der Patient die entsprechenden Nahrungsmittel.

Gestörte Verwertung von Nahrungsbestandteilen

Unverträglichkeiten hingegen kommen nicht über eine Immunreaktion zustande. Sie beruhen auf einer gestörten Verwertung von Kohlenhydraten im Magen-Darm-Trakt, die beispielsweise durch einen Mangel an bestimmten Enzymen im oberen Dünndarm bedingt sind. Bei Kindern kommen sie extrem selten vor. "Kinder haben keine Intoleranz, Kinder haben Allergien", verdeutlichte Wöhrl. Zu den Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten gehört zum Beispiel die Fruktose-Malabsorption. Dabei werde die Fruktose wegen einer Fehlfunktion spezieller Transporteiweiße nicht komplett aus dem Dünndarm ins Blut aufgenommen und gelange in den Dickdarm, erklärte Wöhrl. Die Bakterien dort verwerten die Fruktose, und dabei entsteht Wasserstoffgas

Das macht man sich bei der Diagnose zunutze: "Das Wasserstoffgas können wir messen, weil wir es abatmen." Zur Messung, wie viel Fruktose im oberen Dünndarm aufgenommen wird, erhalten die Patienten 25 Gramm Fruktose. Anschließend misst man etwa alle 30 Minuten über drei bis vier Stunden, wie viel Wasserstoff der Patient ausatmet.

Laktose-Intoleranz – ein Normalzustand?

Auch bei der Laktose-Intoleranz bildet sich Wasserstoffgas, weshalb die Diagnose durch den gleichen Test erfolgt. Bei der Laktose-Intoleranz handelt es sich jedoch um einen Enzymmangel. "Es gibt keine Laktose-intoleranten Kinder", stellte Wöhrl klar. Erst ab der Pubertät fährt der Körper die Produktion des Enzyms Laktase zurück, das den Milchzucker spaltet. Es sei nicht sinnvoll, als erwachsenes Säugetier Laktase herzustellen, eine Laktose-Intoleranz sei also eigentlich der Normalzustand im höheren Lebensalter, erklärte der Arzt. Wer als erwachsene Person Milchzucker verdauen könne, habe eine Mutation. Das gilt immerhin für rund 85 Prozent der Europäer. Jeder Laktose-Intolerante weise jedoch eine Restaktivität des Enzyms auf. Die Histamin-Intoleranz beruht auf einer Schwäche des Enzyms Diaminoxidase, kurz auch DAO genannt. Im Gegensatz zur allgemeinen Wahrnehmung trete sie ebenso wie die Gluten-Unverträglichkeit in der Bevölkerung nur selten auf, berichtet der Arzt.

Bei Intoleranzen bestehe die Behandlung darin, möglichst wenig des Auslösers zu verzehren. Eine komplette Vermeidung sei laut Wöhrl jedoch für gewöhnlich nicht nötig.

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