WohlfühlenPsyche

Schweigen: Sei doch mal still!

Claudia Nöllke  |  01.11.2022

Auch wenn Kommunikation sicher wichtig ist, so herrscht im Alltag doch zu selten Stille. Dabei tun Ruhe und die Abwesenheit von Geräuschen der Gesundheit gut. Wer auf seine innere Stimme hört und seinen Körper wahrnimmt, spürt, wann es Zeit ist, mal abzuschalten.

Frau, lehnt sich draußen auf eine Brüstung und schaut in die Ferne.
Einfach mal nichts tun, nichts sehen und nichts hören: Das ist ungewohnt, tut Körper und Seele aber gut.
© stockfour/iStockphoto

Wann haben Sie das letzte Mal einfach nur irgendwo gesessen, ohne zu reden, etwas zu hören, anzuschauen oder zu lesen? Solche Momente sind rar. Denken wir nur an Geräusche: Ob die Telefonate der gestressten Kollegen im Büro, Verkehrslärm, Baulärm, der Rasenmäher des Nachbarn, die Musik im Supermarkt – andauernd werden unsere Ohren beschallt. Auch unsere Augen kommen selten zur Ruhe: Alle paar Minuten schauen wir aufs Handy, checken Nachrichten, konsumieren Fotos und Filmchen. Der Feierabend markiert auch nicht mehr den Zeitpunkt, an dem wir endlich zur Ruhe finden. Mediatheken und Streamingdienste kennen keinen Sendeschluss.

Das Gehirn braucht Pausen

Eigentlich liebt unser Gehirn die Abwechslung. Die Aufgabe, verschiedenste optische und akustische Reize schnell zu verarbeiten und zu bewerten, meistert es gut. Das ändert sich jedoch, wenn es zu viele Reize bewältigen muss. Das setzt den Kopf unter Dauerstress. Hält dieser länger an, reagiert unser Gehirn überfordert und zeigt uns mit bestimmten Symptomen, dass es seine Arbeit nur noch schlecht leisten kann. Die Konzentrationsfähigkeit lässt nach, der Magen drückt, Nacken und Kopf schmerzen, man findet nicht in den Schlaf. Die Betroffenen reagieren oft auch ängstlicher, manche bekommen sogar Panikattacken. Das liegt daran, dass das Gehirn infolge der Reizüberflutung Stresshormone ausschüttet, die dem Körper signalisieren: Achtung, es droht Gefahr! Dies erschöpft Geist und Körper. Schon die Erledigung von Alltagsaufgaben wie Einkaufen oder einen Termin mit dem Handwerker zu vereinbaren, fällt dann vielen schwer.

Spätestens jetzt sollten sich Gestresste gegenüber den Einflüssen von außen abgrenzen und das Gehirn entlasten. Das funktioniert, indem man sich eine Art Reiz-Diät verschreibt und dabei auch die Stille sucht. Handyverbot am Wochenende, lange Spaziergänge im Wald und eine tägliche Morgenmeditation können helfen, wieder etwas zur Ruhe zu kommen. 

Zu den Orten, die man traditionell mit Stille und innerer Einkehr verbindet, gehören Klöster. Das malerische Dominikanerinnen-Kloster Arenberg bei Koblenz etwa hat seine Türen für Menschen geöffnet, die dem Lärm der Welt entfliehen und zu sich kommen wollen. Im Dezember können Gäste beispielsweise eine Woche lang unterschiedliche Wege und Formen der Stille kennenlernen. Dazu gehören Meditationen, das schweigsame Verweilen in der Natur oder der Bericht einer Dominikanerin, die erklärt, wie Stille im Kloster gelebt wird. Schwester Ursula Hertewich begleitet die Gäste seelsorgerisch und geistlich. Ihrer Erfahrung nach kommen Menschen ins Kloster Arenberg, die auf der Suche sind, die etwas verändern wollen, die Fragen an das Leben stellen. Die Stille sei eine Möglichkeit, Antworten zu finden. "Sie ist ein Zustand, in dem alles Laute und Geschäftige des Alltags außen vor bleibt", sagt sie. "Unsere Aufmerksamkeit geht nicht mehr nach draußen, sondern wird ganz auf uns selbst gerichtet. Die Folge ist, dass wir uns sehr deutlich spüren und wahrnehmen." Doch die Abwesenheit von Geräuschen, Aufgaben und Terminen ist ein Zustand, an den sich manche erst gewöhnen müssen. In den Stunden oder Tagen, in denen vermeintlich nichts geschieht, geschieht in Wirklichkeit viel. "Es kann sein, dass alles Ungeklärte, Unversöhnte oder Beängstigende jetzt überhaupt erst die Chance hat, endlich einmal in den Vordergrund zu kommen und gefühlt zu werden", sagt Schwester Ursula. »Dieser Zustand bringt daher in vielen Menschen zunächst ein gewisses emotionales Chaos hervor. Sie erkennen plötzlich, was sie bisher weggeschoben haben, vor was sie weggelaufen sind oder woran sie arbeiten sollten."

Stille als Voraussetzung für Selbstreflexion, Erkenntnis und innerer Frieden: In der Medizin ist lange bekannt, dass sie sich auch auf den Körper sehr positiv auswirkt. Der Blutdruck sinkt, die Muskulatur entspannt sich, sie soll sogar das Wachstum von neuen Nervenzellen fördern. Das zeigen Studien, in denen Forscher Gehirnareale von Menschen untersucht haben, die regelmäßig über einen längeren Zeitraum meditierten.

Ruhe im Alltag verankern

Stille sollte daher nichts sein, was es nur im Urlaub gibt. Besser man baut sie in den Alltag ein, möglichst als festes Ritual. Wer sich zum Beispiel vor dem Start in den Tag fünf Minuten aufrecht auf einen Stuhl setzt, einen Punkt im Zimmer betrachtet und Gedanken dabei frei fließen lässt, kann Anforderungen durch Job und Familie bald etwas ruhiger und besonnener begegnen. Auch eine Mittagspause sollte man immer mal wieder in Stille verbringen. Statt während der Arbeit schnell einen Imbiss hinunterzuschlingen, verlässt man das Büro für eine halbe, besser noch ganze Stunde und isst bewusst und in Ruhe. Abends lässt man den Fernseher öfter aus und legt das Handy in ein anderes Zimmer. Schwester Ursula weiß, wie das gelingt: "Man könnte sich zum Beispiel fragen: Muss ich mich jetzt von den Medien berieseln lassen, wo ich doch jetzt einfach mal Stille spüren könnte?"

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