Senioren: Warum so viele Stürze tödlich enden
Hanke Huber/PZ | 25.11.2024
Im Jahr 2023 starben rund 20.800 Menschen in Deutschland nach einem Sturz. Die Zahlen stammen aus der Todesursachenstatistik des Statistischen Bundesamtes. Aus ihr lässt sich noch mehr ablesen. So entfielen 84 Prozent der tödlichen Stürze auf Menschen über 75 Jahren. Schließt man Menschen ab 60 Jahren mit ein, waren es sogar 96 Prozent. Das Gros der Betroffenen ist demnach im fortgeschrittenen Alter.
Von den schwerverletzten 60-Jährigen, die zwischen 2015 und 2019 im Krankenhaus versorgt werden mussten, stürzte rund ein Fünftel aus größerer Höhe über drei Meter und etwa gleich viele aus niedriger Höhe unter drei Metern. Dies geht aus dem Verletzten-Monitor der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie hervor. Bei den 80-Jährigen waren Stürze aus niedriger Höhe bei mehr als der Hälfte der schweren Verletzungen ursächlich.
»Stürze aus größerer Höhe geschehen häufig im häuslichen Umfeld«, weiß Privatdozent Dr. Christopher Spering, Leiter der Sektion Prävention der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) und Oberarzt an der Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Plastische Chirurgie der Universitätsmedizin Göttingen. »Wir haben sehr häufig Senioren, die trotz ihres fortgeschrittenen Alters noch auf Leitern klettern, um Kirschen zu ernten oder die Dachrinne zu reinigen.« Weitere Bereiche seien Stürze im Arbeitsumfeld, die eher Jüngere betreffen, und Stürze mit suizidalen Absichten.
Schwellen, Stufen, Teppichkanten
Stürze aus niedriger Höhe haben ihren Schwerpunkt ebenfalls im häuslichen Umfeld. Die Ursachen reichen von Schwellen, Stufen, zerrissenen Teppichen oder Vorlegern über rutschige oder nasse Böden, im Weg liegende Kabel, Stühle mit Rollen bis hin zum Fehlen von Haltegriffen oder Handläufen oder dem Sturz von einem Tritt. Bei diesen Stürzen ist die Energie, die auf den Körper einwirkt, nicht so hoch.
Kommt es zu schwereren Verletzungen, betreffen sie häufiger den Kopf in Form eines Schädel-Hirn-Traumas sowie die Wirbelsäule oder Hüfte. Dass sie oft tödlich enden, hänge bei älteren Menschen aber nicht immer unmittelbar mit dem Sturz zusammen. Oft spielten auch Komplikationen eine Rolle, die in der Folge auftreten, wie Lungenentzündungen oder Nierenversagen, so Spering.
Wie sich ein Sturz auswirkt, kommt gerade bei niedriger Fallhöhe sehr auf die Vorerkrankungen einer Person und die eingenommenen Arzneimittel an. Bei einer Kopfverletzung etwa steigt durch gerinnungshemmende Medikamente die Gefahr einer Hirnblutung, was unmittelbar oder zeitnah tödlich sein kann. Längere Liegezeiten im Krankenhaus erhöhen wiederum das Risiko für Komplikationen wie Lungenentzündungen deutlich, die dort die häufigste Todesursache sei, verdeutlicht Spering. Er und sein Team versuchen daher, Patienten konservativ zu versorgen. „Und wenn wir doch operieren müssen, hat es höchste Priorität, dass wir die Patienten wieder frühzeitig mobilisieren.“
Faktoren, die aus dem Gleichgewicht bringen
Zahlreiche Faktoren erhöhen das Sturzrisiko. Dazu gehören alters- oder krankheitsbedingte Veränderungen, die Gleichgewicht und Stabilität beeinträchtigen, wie eine schwächere Muskulatur, nachlassende Sehkraft, Sensibilitätsverluste sowie Probleme mit Blutdruck oder Herzfunktion. Gleiches gilt für Krankheiten wie Demenz, Parkinson, Arthritis oder zerebelläre Störungen. Sie alle führen dazu, dass Menschen Hindernisse nicht rechtzeitig wahrnehmen beziehungsweise für die Balance notwendige Ausgleichbewegungen nicht mehr durchführen können.
Darüber hinaus kann nicht nur eine Erkrankung selbst, sondern auch ihre Therapie das Sturzrisiko erhöhen. Hierzu zählen beispielsweise Arzneimittel, die die Aufmerksamkeit beeinträchtigen, wie manche Schmerzmittel, insbesondere Opioide, einige Antidepressiva, Antipsychotika oder Benzodiazepine. Auch Herzmedikamente wie Antihypertensiva, vor allem Vasodilatatoren, sowie Diuretika oder Antiarrhythmika erhöhen mitunter das Sturzrisiko. Die Wirkstoffe können sich auf viele Bereiche auswirken, etwa auf die Hirndurchblutung, die Wachheit oder die zentrale Verarbeitung, sie können zu vestibulären Störungen oder Delirium führen. Insbesondere psychoaktive Medikamente scheinen das Risiko von Stürzen deutlich zu erhöhen. Generell gilt: Je mehr Medikamente, umso höher die Sturzgefahr. Listen wie die Priscus-Liste oder die FORTA-Liste (Fit for The Aged) geben eine Übersicht über potenziell ungeeignete Medikamente.
Spering gibt allerdings auch zu bedenken: »Der Grund des Ablebens wird häufig gern auf die Medikamente geschoben. Man muss aber natürlich auch sagen, dass dieser Mensch wahrscheinlich gar nicht so alt geworden wäre, hätte er die Medikamente nicht gehabt.«
Weitere Faktoren betreffen die Umgebung, zum Beispiel schlechte Sicht aufgrund von Dunkelheit oder unzureichender Beleuchtung, ein rutschiger Boden oder herumliegende Dinge. Eine gute Beleuchtung, altersgerechte Umbauten, zum Beispiel im Bad, Handläufe für Treppen, ein rutschfester Untergrund und die Beseitigung von Stolperfallen können hier helfen, das Sturzrisiko zu verringern.
Die Sache mit dem „mal eben schnell“
Weitere Faktoren betreffen Aktivitäten und wie sie durchgeführt werden, zum Beispiel mal eben schnell aufstehen, weil das Telefon klingelt, viele Dinge gleichzeitig tun, beim Gehen reden oder zur Toilette eilen. Im Prinzip müssten Senioren ihrem Alter entsprechend vorsichtiger sein – das gilt sowohl dafür, wie etwas getan wird, als auch für das Was. „Es ist manchmal gar nicht so leicht, einem 85-Jährigen zu sagen, dass er sich vielleicht Hilfe holen sollte, um den Apfelbaum zu schneiden. Das wollen viele nicht hören. Und wir sind ja auch froh, wenn ältere Menschen noch aktiv sind. Aber manche Risiken sollte man besser nicht eingehen, wenn man ein gewisses Alter hat und Marcumar einnimmt“, so Sperings Rat.
Überdies lässt sich durchaus eine Sturzprophylaxe betreiben. So informieren etwa Krankenkassen über spezielle Übungen, mit denen jeder leicht zu Hause sein Gleichgewicht trainieren kann. „Körperlich aktiv zu bleiben, regelmäßiger Sport und muskelstabilisierendes Training helfen dabei, dass die Muskulatur vital und stark bleibt. Mehr noch: Es ist wichtig für das Verständnis des eigenen Körpers, die eigene Stabilität“, sagt Spering.