Der Weg zur Zweitfrisur

Mehr als 1,5 Millionen Frauen in Deutschland tragen eine Perücke. Die wenigsten aus Eitelkeit. Wie Djiela Wibben. Die Hamburgerin setzt auf die falschen Haare, um wieder sie selbst zu sein.

Wiebke Hemmecke und Djiela Wibben
Im Laden der Zweithaarspezialistin Wiebke Hemmecke (links) probiert Djiela Wibben einige Musterperücken an. Das Zweithaar gibt Wibben nach Chemotherapie und zeitweiligem Haarverlust Sicherheit.
© Fereidoun Mirbaha

Vorsichtig setzt Wiebke Hemmecke ihrer Kundin die Perücke auf und wirft prüfend einen Blick in den Spiegel. "Der Haarton ist ein wenig zu hell? Was meinen Sie selbst?" Djiela Wibben stimmt der Perückenmacherin und Friseurin aus Hamburg zu. Die Suche nach einem Zweithaar, das der Originalfrisur am nächsten kommt, ist gar nicht so einfach. Einen Monat zuvor war Djiela Wibben zum ersten Mal in Wiebke Hemmeckes Studio. Die 48-Jährige hatte beim Baden einen Knoten in der Brust ertastet. "Nicht einmal eine Woche später fand ich mich auf dem OP-Tisch wieder. Ich hatte kaum Zeit nachzudenken, schon war der bösartige Tumor entfernt", erzählt sie. Dennoch riet ihr der Arzt vorsorglich zur Nachbehandlung: Bestrahlung und Chemotherapie. Zu den Nebenwirkungen gehörte in diesem Fall auch Haarausfall. "Vor den Nebenwirkungen hatte ich etwas Angst. Aber ich willigte ein, um wieder gesund zu werden."

Die Operation ist inzwischen gut überstanden. In dem schön eingerichteten Laden von Wiebke Hemmecke probiert Djiela mit der Zweithaarspezialistin einige Musterperücken an, die beiden sind allein. Der Blick in den Spiegel ist schon komisch. Die Perückenmacherin weiß das. Mit Einfühlungsvermögen und Zeit hatte sie bereits im Erstgespräch wichtige Informationen herausgehört.

Den Perückenladen finden, der zu einem passt

Vor einer Chemotherapie bekommen Patienten vom Krankenhaus ein Rezept für eine Perücke, das sie bei ihrer Krankenkasse einreichen können. So bleibt Zeit, noch mit der eigenen Frisur zu einem Perückenmacher zu gehen, um eine möglichst identische Perücke zu finden. "Zunächst folgte ich der Empfehlung des Krankenhauses. Der Laden sah zwar schön aus, aber gut aufgehoben fühlte ich mich nicht", erinnert sich Djiela. "Seite an Seite standen Kabinen mit Vorhängen, dahinter fanden die Beratungen statt. Mir war das zu unpersönlich. Also machte ich mich im Internet auf die Suche und stieß auf die Homepage von Wiebke Hemmecke, die mir sehr zusagte." Viele Perücken stehen zur Auswahl. "Wegen meiner Neurodermitis brauche ich eine Echthaarperücke, die ist verträglicher", so Djiela. Nach zwei Stunden hat sie sich für ein Modell entschieden. Dieses wird jetzt für sie bearbeitet und eingelagert. "Noch sind meine eigenen Haare ja in voller Pracht vorhanden. Mit dieser Vorbereitung kann ich dem Beginn der Chemotherapie gelassener entgegensehen", sagt Djiela.

Die Behandlung beginnt

Die ersten Infusionen machen Djiela zu schaffen. An manchen Tagen fühlt sie sich schlapp, an anderen geht es ihr besser. Nach zwei Wochen braucht sie sich nur an den Kopf zu fassen, schon hält sie büschelweise Haare in der Hand.

Weitere drei Tage später: Schneller als gedacht macht sich Djiela mit ihrer Mutter und einer Freundin auf den Weg zum Perückenstudio, um sich von ihren verbliebenen Haaren zu trennen. Vor dem Blick in den Spiegel fürchtet sie sich. "Keine Sorge! Sie haben eine schöne Kopfform", beruhigt Wiebke Hemmecke vor dem Haarschnitt. Dem kann Djiela nur zustimmen. Erstaunt stellt sie fest, dass sie sich auch ohne Haar immer noch wohlfühlt, "obwohl es plötzlich so kalt am Kopf ist". Aber nur kurz. Die Fachfrau schneidet nun den Haarrohling in die finale Form. Die Perücke passt und fühlt sich angenehm an. Das liegt an dem handgearbeiteten, weichen Netzteil. "Ich bekomme sie problemlos auf den Kopf, schiebe und zupfe noch etwas hin und her. Eine Art Haftgummi sorgt dafür, dass ich meinen Kopf sogar wild nach oben und unten schütteln könnte, ohne dass etwas verrutscht."

Trotz der strapaziösen Therapie resümiert die 48-Jährige zufrieden: "Wenn ich mein Zweithaar aufhabe, scheint kaum jemand etwas zu merken. Oben ohne gehe ich darum nur selten vor die Tür. Es sei denn, es stürmt und regnet – dann kommt eine Mütze zum Einsatz. Meine Therapie wird in einigen Wochen abgeschlossen sein. Ohne die Perücke würde ich diese Zeit sicher nicht so gut überstehen."

Narimaan Nikbakht

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