Dr. Frank Schäfer
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15.12.2021
Die Eltern von Meike S.* staunen nicht schlecht, als ihre achtjährige Tochter, die eigentlich schon schlafen gegangen war, am späten Abend mit starrem Gesicht, aber geöffneten Augen ins Esszimmer stapft und beginnt, Geschirr aufzudecken. Als die Eltern sie ansprechen, reagiert sie nicht, sondern setzt ihre Arbeit fort. Danach geht sie – von den verunsicherten Eltern begleitet − wieder in ihr Bett. Am nächsten Morgen auf den nächtlichen Zwischenfall angesprochen, kann sie sich an nichts erinnern.
Es ist nicht ungewöhnlich, dass diese Schlafwandel-Episode bei einem Kind auftritt. Die Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin e. V. (DGSM) schreibt dazu im Internet: "15 bis 30 Prozent aller Kinder haben zumindest eine Episode von Schlafwandeln, drei bis vier Prozent haben häufiges Schlafwandeln. Nach dem 10. Lebensjahr nimmt bei vielen Kindern die Häufigkeit ab. Bei einem Prozent der Betroffenen bleibt Schlafwandeln bis in das Erwachsenenalter hinein bestehen." Dass das Tischaufdecken bei Meike S. unfallfrei ablief, darf übrigens eher als Glücksfall gelten. Die sprichwörtliche schlafwandlerische Sicherheit ist ein Mythos, es können durchaus Unfälle passieren.
Meist keine Erinnerung an den nächtlichen Ausflug
An die nächtlichen Ereignisse erinnern sich Schlafwandler am nächsten Morgen in den meisten Fällen nicht, so die Experten der DGSM. Mitunter bleiben traumartige Bilder und der Eindruck, dass irgendetwas in der Nacht gewesen ist, im Gedächtnis zurück. Symptome wie das Verlassen des Bettes und Umherlaufen im Schlaf können Sekunden bis Minuten, selten eine Stunde oder länger anhalten. Oft verläuft die Episode allerdings auch wenig auffällig. Dann richten sich Betroffene beispielsweise lediglich in ihrem Bett auf, blicken umher, ordnen Kissen oder zupfen an der Decke.
Was die ungewöhnlichen nächtlichen Aktivitäten auslöst, wissen Forscher nicht genau. Fest steht: Es werden keine Träume ausgelebt. Die Schlafwandel-Episoden erfolgen nicht aus dem Traumschlaf heraus. "Von vielen Forschern wird das Schlafwandeln auch als Aufwachstörung bezeichnet", erläutert die DGSM, "weil das Gehirn halb schläft und halb wach ist." Es gebe zudem erbliche Faktoren. "Und viele Patienten berichten, dass Stress zur Zunahme von Schlafwandel-Episoden führen kann, zum Beispiel die Einschulung bei Kindern, Übernachtung auswärts, beruflicher oder privater Stress." Im Erwachsenenalter können hier auch die Nebenwirkungen einer medikamentösen Behandlung, Alkohol- und Drogenkonsum oder eine zugrundeliegende neurologische Erkrankung verstärkend wirken.
Kommt es zu nächtlichen Ausflügen im Schlaf, sollte zunächst ein Kinder- beziehungsweise Hausarzt zu Rate gezogen werden, bei Erwachsenen sollte eine neurologische Abklärung erfolgen. Bei Kindern verschwindet das Problem meist mit der Pubertät. Es kann, je nach Begleitumständen und Symptomen, eine weitere Diagnostik bei Fachärztinnen und -ärzten folgen, auch um andere Schlafstörungen auszuschließen. Ebenso klären Ärzte das mögliche Vorliegen organischer Erkrankungen mit teils ähnlichen Begleitsymptomen ab, wie eine Epilepsie.
Wie entschärft man die Situation?
Die DGSM empfiehlt, Schlafwandler nachts nicht abrupt zu wecken, außer wenn ein Notfall droht. Man solle sie ruhig ansprechen und mit beruhigenden Worten vorsichtig ins Bett zurückbegleiten. So geschah es auch bei Meike S. Wandeln Schlafwandler umher, empfiehlt sich eine Raumsicherung. Fenster und Türen – vor allem die nach draußen oder in unfallträchtige Räume wie etwa in die Küche führen – sollte man nachts durch Schlösser oder andere Sicherungen blockieren. Aus dem Schlafzimmer entfernt man vorsichtshalber verletzungsträchtige Möbel oder Gegenstände.
Weitere Empfehlungen der DGSM: einen regelmäßigen Schlaf-Wach-Rhythmus einhalten und Schlafdefizite vermeiden, da dies die Menge an Tiefschlaf in der folgenden Nacht steigert. Den Schlafdruck zur Nacht kann man bei Bedarf durch Kurzschlaf am Tage mindern. Hilfreich wirkt es sich aus, Stress zu vermeiden und Konfliktsituationen abzubauen oder zu verhindern, wobei möglicherweise Psychologen helfen können. Auch soll das Erlernen von Entspannungsübungen und bei häufigerem Schlafwandeln eine Verhaltenstherapie die Situation verbessern.