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Thema der Woche: Arzneimittel 2016 - ein guter Jahrgang

26.05.2017

Welche neuen Medikamente seit 2016 den Arzneimittelschatz bereichern, präsentierte Apotheker Sven Siebenand, stellvertretende Chefredakteur der Pharmazeutischen Zeitung, auf einer Apothekerfortbildung in Meran, Südtirol. Viele davon sind nicht nur Weiterentwicklungen bekannter Arzneistoffe, sondern sie wirken auf neuartige Weise und verbessern unter anderem die Behandlung von Herzschwäche, Brustkrebs oder Narkolepsie.

Im Jahr 2016 sind zahlreiche innovative Arzneimittel auf den Markt gekommen.
Im Jahr 2016 sind in Deutschland 32 Wirkstoffe neu auf den Markt gekommen.
© kasto - Fotolia

Von den 32 im Jahr 2016 neu auf den Markt gekommenen Arzneistoffen stellen elf einen deutlichen Fortschritt für die Medizin dar. Dank ihrer neuartigen Wirkungsweisen lassen sich schwer therapierbare Krankheiten nun besser behandeln.

Innovationspreis für Herzschwäche-Medikament

Das gilt beispielsweise für fortgeschrittene Herzschwäche. Betroffene haben teils schlechtere Überlebenschancen als viele Krebspatienten. Der Grund: Das Herz ist durch einen Infarkt und/oder Bluthochdruck so geschwächt, dass es den Körper nicht mehr richtig mit Blut versorgt. Um das kranke Herz zu entlasten, gibt es neben den bereits länger eingesetzten Medikamenten ein neues Kombi-Arzneimittel, Sacubitril-Valsartan. Es enthält gleich zwei Arzneistoffe und entfaltet somit eine Doppelwirkung: Es blockiert die Effekte des körpereigenen Botenstoffes Angiotensin II, was unter anderem den Blutdruck senkt und so das Herz entlastet. Zudem steigert es den Blutgehalt sogenannter natriuretischer Peptide, die auf verschiedenen Wegen die Herzbelastung und möglicherweise auch ungünstige Umbauvorgänge im schwachen Herzen vermindern.

Das Kombipräparat Sacubitril-Valsartan gehört zur Gruppe der sogenannten Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitoren (ARNI). Mit seiner neuartigen Wirkweise kann das Mittel die Gefahr, an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu sterben oder deswegen ins Krankenhaus zu müssen, deutlicher senken als eine bisherige Standardbehandlung gegen Herzschwäche etwa mit einem ACE-Hemmer. Letztere darf man übrigens keinesfalls zusammen mit dem neuen Mittel einsetzen. Wegen des neuartigen Wirkungsansatzes und seiner guten Wirksamkeit wurde die Firma, die Sacubitril-Valsartan auf den Markt gebracht hat, mit dem diesjährigen Innovationspreis der Pharmazeutischen Zeitung ausgezeichnet. Er wird einmal jährlich für herausragende Neuentwicklungen im Arzneimittelbereich verliehen. Apotheker Sven Siebenand übergab den Preis auf der Apothekerfortbildung in Meran.

Deutliche Fortschritte in der Krebstherapie

Als spannendes Beispiel für ein fortschrittliches Krebsmedikament stellte Siebenand ein Mittel mit der zungenbrecherischen Bezeichnung Talimogen laherparepvec vor. Es handelt sich dabei um gentechnisch speziell präparierte Herpesviren, die man wie Bluthunde scharf auf Zellen des schwarzen Hautkrebses gemacht hat. Die Viren werden als Lösung mehrere Male direkt in den Tumorherd der Haut gespritzt. Das Virus infiziert gezielt Hautkrebszellen und tötet sie ab. Außerdem zwingen die Viren Tumorzellen zuvor dazu, einen speziellen Botenstoff zu produzieren, der das körpereigene Immunsystem antreibt, die Tumorzellen zu erkennen und anzugreifen. In einer Studie zeigte sich bei immerhin 16,3 Prozent der nicht mehr zu operierenden Patienten ein längerfristiges Ansprechen auf Talimogen laherparepvec. Auch die Überlebenszeit verlängerte sich gegenüber einer Vergleichsgruppe im Verlauf der Studie im Durchschnitt von 19 auf 23 Monate. Gedacht ist das Mittel für erwachsene Patienten, deren Tumorherde man nicht mehr operieren kann. Eine Einschränkung: Es dürfen keine Tochtergeschwulste in den Knochen, im Gehirn, der Lunge oder anderen inneren Organen vorliegen.

Auch bei der Brustkrebstherapie gibt es Neues: den Wirkstoff Palbociclib. Er gehört zu einer neuartigen Arzneistoffklasse, die einen speziellen Signalweg in Brustkrebszellen blockiert und damit bewirkt, dass sich diese nicht mehr unkontrolliert teilen können. Palbociclib wird in Verbindung mit einer Hormonentzugstherapie bei bestimmten hormonrezeptorpositiven Krebsherden eingesetzt – auch wenn bereits Tochtergeschwulste vorliegen. In einer Studie verlängerte Palbociclib im Vergleich zu alleinigem Hormonentzug die Überlebenszeit ohne Krankheitsfortschritt im Mittel von 14,5 auf 24,8 Monate. Apotheker Siebenand wies allerdings darauf hin, dass es als Nebenwirkung zu Veränderungen im Blutbild kommen kann, die die Infektionsanfälligkeit merklich erhöhen. Hier muss man mit der Behandlung pausieren oder sie im Zweifel abbrechen.

Fortschritte bei der Arzneitherapie gibt es auch bei einer bestimmten Form der Leukämie, dem multiplen Myelom. Zwei spezielle Antikörper, als Daratumumab und Elotuzumab bezeichnet, können Patienten gespritzt werden, bei denen die bisherige Therapie allein nicht mehr ausreichend wirkt. Daratumumab bindet an einen speziellen Ankerplatz auf Myelomzellen und verhindert so das unkontrollierte Wachstum der Blutkrebszellen und sie sterben ab. Der Antikörper wird über mehrere Wochen gespritzt, zunächst einmal pro Woche, dann alle zwei Wochen. Studien zeigten, dass immerhin 31 Prozent der bei bereits behandelten Patienten mit fortschreitender Erkrankung auf das Medikament ansprachen. Allerdings wird das Mittel noch von der Europäischen Arzneiagentur beobachtet, um den Nutzen abschließend zu bewerten. Der Antikörper Elotuzumab markiert Blutkrebszellen und aktiviert gegen sie spezielle Abwehrzellen, die natürlichen Killerzellen. Der Antikörper wird in mehreren Behandlungszyklen verabreicht. Die Patienten müssen dafür mit bestimmten Medikamenten vorbehandelt werden, um die Behandlung verträglicher zu machen. Elotuzumab wird mit den Arzneistoffen Lenalidomid und einem kortisonartigen Wirkstoff eingesetzt und konnte im Vergleich zu diesen Substanzen allein das Risiko für Krankheitsfortschritt und einen tödlichen Verlauf innerhalb der untersuchten Behandlungszeiträume um 32 Prozent senken.

Neue Behandlung bei Narkolepsie

Bei einer ausgeprägten Schlaf-Wach-Störung mit Phasen teils plötzlich auftretender starker Tagesschläfrigkeit − medizinisch als Narkolepsie bezeichnet − gibt es seit letztem Jahr neben dem schon länger verfügbaren Modafinil eine zusätzliche Behandlungsmöglichkeit: den Arzneistoff Pitolisant. Er wirkt an Nervenfaserendigungen und dort an speziellen Ankerplätzen des Hirnbotenstoffes Histamin. Über einen komplexen Mechanismus sorgt die Arznei letztlich dafür, dass mehr des Botenstoffes Histamin im Gehirn ausgeschüttet wird und Betroffene wacher sowie aufmerksamer sind. Pitolisant senkt zudem die Häufigkeit von plötzlichen Muskelerschlaffungen, sogenannten Kataplexien, die teils mit den Phasen starken Schlafdrangs verbunden sind. Durch die Muskelerschlaffungen können Betroffene schwer stürzen. Eine wichtige Nebenwirkung: Pitolisant vermindert die Wirksamkeit der Pille zur Schwangerschaftsverhütung.

Diese Beispiele geben einen ersten Eindruck von den Neuerungen, die 2016 den Arzneimittelmarkt erreicht haben. Aber auch für 2017 sind spannende Neuentwicklungen zu erwarten, zum Beispiel ein Arzneistoff zur Behandlung der nichtalkoholischen Fettleber, die sich zur regelrechten Volkskrankheit entwickelt (aponet.de berichtete).

Dr. Frank Schäfer

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