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Thema der Woche: Schmerz und Psyche

23.11.2016

Körper, Geist und Seele sind untrennbar miteinander verbunden: Gefühle wie Ängste, Stress und Trauer können sich vom Scheitel bis zur Fußsohle bemerkbar machen. Umgekehrt wirken sich anhaltende Schmerzen auch auf unsere seelische Gesundheit aus. Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, müssen Ärzte und Psychologen Hand in Hand arbeiten.

Die persönlichen Gefühle spielen beim Schmerzempfinden eine wichtige Rolle.
Jeder Schmerz ist echt. Neben körperlichen Auslösern gibt es auch andere Gründe dafür. Das gilt besonders beim chronischen Schmerz.
© nikodash - Fotolia

Schmerz ist lebenswichtig: Er warnt uns vor drohenden Schäden, weist uns auf eine Verletzung oder auf eine Krankheit hin. So ist es ganz natürlich, dass wir die Hand von einer heißen Herdplatte ziehen oder ein gebrochener Arm schmerzt und uns signalisiert: Es stimmt etwas nicht.

Schmerz entsteht im Gehirn

Schmerz spielt sich allerdings nicht nur dort ab, wo wir ihn vermuten. Überall am Körper befinden sich sogenannte Schmerzrezeptoren. Werden diese aktiviert, zum Beispiel durch eine Verbrennung, dann leiten sie Schmerzsignale über die Nervenbahnen an das Rückenmark weiter. Über die Rückenmarkszentrale gelangen die Impulse schließlich an das Gehirn und damit in unser Bewusstsein. An der Schmerzwahrnehmung sind verschiedene Hirnareale beteiligt, auch das Limbische System, das unter anderem für Steuerung von Gefühlen zuständig ist.

"Wie intensiv wir einen Schmerzreiz spüren, hängt nicht nur vom reinen Nervensignal ab, sondern ist ein Zusammenspiel biologischer, psychologischer und sozialer Faktoren", erklärt Hans-Günter Nobis, Leitender Psychologe der Abteilung Orthopädische Psychosomatik der Median-Klinik in Bad Salzuflen. Neben körperlichen Faktoren spielen die aktuelle Stimmungslage, die Erwartungshaltung und die Aufmerksamkeit, die man dem Schmerz entgegenbringt, eine Rolle. Experten sprechen daher von "bio-psycho-sozialem Schmerz", den jeder Mensch tatsächlich individuell empfindet. Es gibt also keinen Schmerz ohne die Beteiligung von Gefühlen. Das gilt für jedes Körperteil und sowohl für akuten als auch für chronischen Schmerz.

Jeder Schmerz ist echt

"Generell ist es zunächst wichtig, bei Schmerzen eine ernsthafte Erkrankung als Ursache auszuschließen", sagt Nobis. Kann der Arzt aber nichts dergleichen feststellen, fühlt sich der Patient oft nicht ernst genommen oder gar als Simulant abgestempelt. "Wichtig ist dann, sich klarzumachen, dass jeder Schmerz echt ist, und es neben körperlichen Auslösern auch andere Gründe für Schmerzen gibt – besonders beim chronischen Schmerz. Die häufigste Ursache dafür ist eine Kombination aus lang anhaltendem körperlichen, seelischen und sozialen Stress. Grenzen zu haben, ist menschlich, manchmal spüren wir sie zuerst im Körper", verdeutlicht der Psychologe.

Ein Beispiel dafür sind Rückenschmerzen, die nur selten durch eine körperliche Beeinträchtigung verursacht werden. Trotzdem sind sie alles andere als Einbildung: "Für 80 Prozent aller Rückenschmerzen ist eine sogenannte Funktionsstörung verantwortlich, die durch Stress verursacht wird", erklärt Nobis. Sowohl durch körperliche als auch durch seelische Belastung verspannen und verhärten sich die Muskeln im ganzen Körper. Die Folge: Man fühlt sich schnell erschöpft, weniger leistungsfähig und verspürt Schmerzen, meistens im Bereich der Muskulatur, der Sehnenansätze, des Bindegewebes oder der Knochenhaut.

So schnell wie möglich wieder bewegen

"In vielen Fällen reicht es, wenn der Patient seine körperliche Belastung kurzfristig reduziert und unter Anleitung des Arztes Schmerzmittel oder muskelentspannende Medikamente einnimmt", sagt Nobis. Besonders wichtig sei es aber, die gewohnte körperliche Aktivität so schnell wie möglich wieder aufzunehmen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die Patienten aus Angst vor erneuten Schmerzen eine Schonhaltung entwickeln und sich nur noch so wenig wie möglich bewegen. Das verschlechtert aber den körperlichen Zustand und führt nicht selten zu noch stärkeren Schmerzen.

Ganzheitlich behandeln

Die Schmerzen drohen dann, sich zu verselbstständigen und chronisch zu werden. Das Nervensystem wird durch die ständigen Schmerzreize immer sensibler, die Schmerzschwelle sinkt. Die Patienten nehmen schon geringe und harmlose Reize als Schmerzen wahr, die Nervenzellen senden unter Umständen weiter Schmerzsignale an das Gehirn, obwohl es keine körperliche Ursache mehr gibt. Ist der Schmerz erst ein ständiger Begleiter geworden, leidet darunter auch die Seele. Viele chronische Schmerzpatienten ziehen sich aus ihrem Alltag zurück, schlafen schlecht und beschäftigen sich nur noch mit ihrem Schmerz.

Hier einen Ausweg zu finden, ist alles andere als leicht, aber dennoch möglich, wie Schmerzpsychologe Nobis weiß. Grundlage dafür ist die sogenannte multimodale Schmerztherapie, also eine Behandlung, bei der Ärzte, Physiotherapeuten und Psychologen Hand in Hand arbeiten. Untersuchungen bestätigten, dass auf chronischen Schmerz spezialisierte interdisziplinäre Teams in bis zu 70 Prozent der Fälle Verbesserungen erreichen konnten. Das oberste Ziel lautet dabei, die Lebensqualität des Patienten auch bei Fortbestehen der Schmerzen zu steigern.

Den Schmerz loslassen

Der Psychologe erinnert sich noch gut an eine ehemalige Patientin, die ihre beste Freundin durch Krebs verlor: "In den letzten Monaten der Krankheit hatte sie sich gegenüber der kranken Freundin, Arbeitskollegen und ihrer Familie zusammengerissen und ihre Trauer nicht gezeigt. Mehrere Wochen nach der Beerdigung klagte sie nach einem Umbau des Kinderzimmers über Rückenschmerzen. Die üblichen Behandlungsmaßnahmen besserten die Schmerzen nur kurzfristig, insgesamt wurden sie aber immer intensiver. Mehrere Monate später, als die Schmerzpatientin am Ende einer Sportstunde eine Entspannungsübung machte und die Trainerin eine Hand auf ihren Bauch legte, um die Entspannung zu fördern, lösten sich ihre unterdrückten Gefühle, sie brach in Tränen aus. Wenige Tage später wurden ihre Schmerzen weniger und verschwanden im weiteren Verlauf ganz."

Dieser Fall ist laut Nobis kein einzelnes Phänomen, der Psychologe und seine Kollegen erleben in der täglichen Praxis immer wieder, wie eng Schmerz und Seele miteinander verbunden sind. "Es ist daher besonders wichtig zu verinnerlichen, dass das Schmerzempfinden immer von den eigenen Gedanken und Gefühlen mitgesteuert wird", betont er. Das ist der erste Schritt, um einen Ausweg aus dem vertrackten Miteinander zu finden.

Natascha Koch

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