Natascha Koch
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24.04.2020
"Ich habe mir immer gewünscht, mit 30 Mama zu werden", erinnert sich Sophia Felber*. Kurz nach ihrem 30. Geburtstag, im Januar 2010, setzte sie die Pille ab. Dass es in jedem Fall schnell klappen wird, hatten Sophia und ihr Mann David* zwar nicht erwartet. Nach einem Jahr ohne positiven Schwangerschaftstest begann das Paar jedoch, sich Sorgen zu machen. Die Felbers suchten ein Kinderwunschzentrum auf, und es folgten einige Untersuchungen.
Viele Gründe für Unfruchtbarkeit
So wie den Felbers ergeht es laut Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend etwa jedem zehnten Paar. Gründe für die ungewollte Kinderlosigkeit sind unter anderem hormonelle Störungen, funktionsuntüchtige Eileiter, Gebärmutterfehlbildungen oder Endometriose. Bei Männern können eine eingeschränkte Spermienbildung oder -qualität sowie verschlossene Samenleiter für Unfruchtbarkeit verantwortlich sein. Auch das Alter der Frau kommt beim Thema Kinderwunsch zum Tragen. Biologisch betrachtet besitzt sie zwischen 20 und 25 Jahren die höchste Chance, ein Kind zu bekommen. Danach nimmt die Fruchtbarkeit ab. Ab dem 40. Lebensjahr beträgt die Chance, im Laufe eines Jahres schwanger zu werden, nur noch etwa zehn bis 30 Prozent.
"Dass viele Paare mittlerweile erst spät mit der Familienplanung beginnen, bedeutet natürlich auch, dass es schwieriger wird und länger dauern kann, bis es klappt", sagt Dr. Jörg Puchta, Reproduktionsmediziner aus München. Er rät Frauen ab 35 dazu, schon nach einem halben Jahr ein Kinderwunschzentrum aufzusuchen, wenn sie auf natürliche Weise nicht schwanger werden. Jüngere Frauen könnten damit ein Jahr warten, da bei ihnen der Zeitfaktor noch keine so große Rolle spielt. Ab dem 40. Lebensjahr empfiehlt der Mediziner, sich sofort in medizinische Behandlung zu begeben, um nicht zu viel Zeit zu verlieren.
Timing spielt eine wichtige Rolle
Ein ganz trivialer und auch der häufigste Grund für eine ausbleibende Schwangerschaft ist Puchta zufolge das falsche Timing. Ein Kind zeugen können Paare nur während des Eisprungs, also wenn bei der Fraue eine Eizelle den Eierstock verlässt und in den Eileiter gelangt. Das Ei ist dann etwa 24 Stunden befruchtbar. "Viele Paare verschätzen sich, wenn es darum geht, den Tag des Eisprungs zu bestimmen. Das liegt mitunter auch an digitalen Apps zur Familienplanung, die oft sehr ungenau sind", so Puchta. Mittels einer Blutabnahme können Ärzte den genauen Zeitpunkt des Eisprungs vorhersagen. "Bereits diese einfache Maßnahme hilft dabei, dass die Hälfte aller Frauen, die zu uns ins Kinderwunschzentrum kommen, schwanger wird", sagt der Arzt.
Beim Ehepaar Felber war es anders: Bei den Untersuchungen kam heraus, dass David zu wenige intakte und gut bewegliche Spermien produziert. Außerdem wurde bei Sophia ein gutartiger Tumor am Gebärmuttermuskel gefunden, ein sogenanntes Myom, das eine Schwangerschaft erschweren kann. Eine einfache Samenübertragung war wegen der schlechten Spermienqualität wenig erfolgversprechend, das Paar entschied sich daher gleich für eine Intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI), bei der die Eizelle im Reagenzglas befruchtet wird.
Immer mehr Paare nehmen Hilfe in Anspruch
Generell steigt die Zahl der Paare, die nach einer Kinderwunschbehandlung ein Baby bekommen, von Jahr zu Jahr an: Im Jahr 2007 probierten es knapp 65.000 Paare in Deutschland mit einer künstlichen Befruchtung und 12.670 Kinder kamen dadurch zur Welt. Im Jahr 2017 waren es bereits mehr als 105.000 Paare und fast 21.300 Neugeborene. Das geht aus dem aktuellen Jahrbuch des Deutschen IVF-Registers – IVF steht für In-Vitro-Fertilisation – hervor.
Der Erfolg einer Kinderwunschbehandlung lässt sich aber nicht mit Sicherheit voraussagen, da er von vielen Faktoren abhängt. Das Problem ist Puchta zufolge, dass viele Paare falsche Vorstellungen davon haben, wie viel Zeit sie für die Behandlungen aufbringen müssen. Oft dauere es viele Monate oder sogar Jahre, bis sich eine Schwangerschaft einstellt.Bei den Felbers vergingen fünf Jahre, sechs ICSI-Behandlungen und eine Fehlgeburt, ehe Sophia ihre Tochter auf die Welt brachte. 40.000 Euro haben die Behandlungen das junge Ehepaar gekostet.
Beratungsstellen bieten Unterstützung
Trotz der beeindruckenden Erfolge in der Reproduktionsmedizin bleiben immer noch viele Paare zurück, denen nicht geholfen werden kann. "Oft werden die Behandlungen einfach zu teuer, gerade wenn die Krankenkasse keine Kosten mehr übernimmt", sagt Dr. Oranna Keller-Mannschreck, Leiterin der Pro-Familia-Beratungsstelle in Waiblingen. Manchmal fühle sich das Paar der Situation auch psychisch nicht mehr gewachsen, oder Ärzte raten von weiteren Versuchen ab.
Viele Frauen und Männer belastet die ungewollte Kinderlosigkeit so sehr, dass sie Hilfe benötigen. Schwangerschaftsberatungsstellen, Wohlfahrtsverbände oder Frauengesundheitszentren bieten kostenfrei psychologische Beratungen an, bei denen alle Probleme und Sorgen, die im Laufe einer Kinderwunschbehandlung auftreten, besprochen werden können. Adressen und Kontaktdaten hat unter anderem das Beratungsnetzwerk KinderwunschDeutschland unter www.bkid.de zusammengestellt.
"Wir versuchen, Paare in unserer Beratung von Anfang an darauf einzustellen, dass ihr Kinderwunsch möglicherweise nicht in Erfüllung geht. Daher raten wir immer dazu, gemeinsam einen Plan B zu entwickeln", sagt Keller-Mannschreck. Dazu gehöre zum Beispiel, den Fokus wieder mehr auf die Partnerschaft zu legen und gemeinsam an anderen Projekten zu arbeiten. Für manche Paare kommt vielleicht auch eine Adoption oder das Aufnehmen eines Pflegekindes infrage.
Den Wunsch nach einem eigenen Kind endgültig loszulassen, bleibt trotzdem alles andere als einfach. Ein Abschiedsritual kann dabei helfen: etwa einen Baum der Blumen zu pflanzen, einen Brief an das ungeborene Kind zu schreiben oder alle Unterlagen zu den Behandlungen symbolisch der Luft oder dem Wasser zu übergeben.
*Namen von der Redaktion geändert