Beim "kleinen Geschäft" Blutzucker senken

Kann der Arzt im Urin eines Patienten Zucker nachweisen, ist das kein gutes Zeichen: Dieser Befund spricht für Diabetes. Eine neuer Wirkstoff macht aus der Not eine Tugend und verstärkt diesen Effekt noch, um zu hohe Blutzuckerwerte zu senken.

Manneken Pis
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Ein gesunder Mensch scheidet mit dem Urin keinen Zucker aus. Dafür sorgen natürliche Filter in den Nieren. Sie halten ihn zurück. Anders sieht es bei einem gestörten Zuckerstoffwechsel aus: Erreicht der Blutzucker bei Diabetikern Werte von circa 180 mg/dl (etwa 10 mmol/l) und mehr, kann Zucker nicht mehr vollständig zurückgeholt werden und tritt in den Urin über. Dieser Umstand führte zur Krankheitsbezeichnung Diabetes mellitus, die für "honigsüßer Durchfluss" steht.

Forscher kamen nun auf den Gedanken, hohe Blutzuckerwerte bei Typ-2-Diabetikern einfach dadurch zu senken, dass sie den Abfluss von Zucker über die Nieren noch verstärken. Dafür entwickelten sie einen Arzneistoff, der einen der Rücktransporter in den Nieren blockiert. Dieser Transporter trägt den Namen "Sodium Glucose Transporter 2", kurz SGLT 2. "Sodium" ist das englische Wort für Natrium, ein Mineralstoff, den der SGLT 2 mit Zucker zusammen aus dem Harn zurückholt.

Der erste auf den Markt gebrachte Arzneistoff heißt Dapagliflozin. Er ist inzwischen in Europa zugelassen. Eingenommen wird er einmal täglich als Tablette. Vorgesehen ist Dapagliflozin für Typ-2-Diabetiker, die mit Diät und Bewegung allein nicht auskommen. Dapagliflozin eignet sich auch für Patienten, die eine Kombination von mehreren Medikamenten benötigen, um ihren Blutzucker ausreichend senken zu können.

Positive Auswirkung auf Langzeitblutzucker

Der neue Wirkstoff wurde in mehreren Studien geprüft. Er vermochte den Langzeitblutzuckerwert HbA1c deutlich zu senken. In Kombination mit anderen, bereits etablierten Diabetesmitteln senkte Dapagliflozin diesen Wert sogar zusätzlich.

Da Dapagliflozin den Blutzucker auf einem ganz anderen Weg als bisherige Diabetesmittel reduziert, bietet es eine zusätzliche Behandlungsmöglichkeit, falls bisherige Mittel sich nicht eignen. Außerdem hatte der Wirkstoff noch zwei weitere positive Auswirkungen: Er verminderte zu einem gewissen Teil den Blutdruck und das Körpergewicht, was gerade für Diabetiker günstig ist.

Nicht für jeden geeignet

Das Risiko für Unterzuckerungen fällt besonders im Vergleich zu Sulfonylharnstoffen sehr gering aus. Darin sehen Experten wie Professor Dr. Stephan Matthaei, Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft, einen großen Vorteil. "Die Sicherheit von Arzneimitteln ist aus unserer Sicht eindeutig ein erheblicher Zusatznutzen", so Matthaei in einer Stellungnahme. Die Fachgesellschaft widerspricht damit einer Einschätzung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen in Köln. Ihm reichen die bisher vorliegenden Belege nicht, um einen Zusatznutzen von Dapagliflozin gegenüber in Deutschland gebräuchlichen Sulfonylharnstoffen beziehungsweise Metformin zu belegen.

Für die Anwendung von Dapagliflozin bestehen einige unumstrittene Einschränkungen: So wird das Mittel bei Störungen der Nierenfunktion nicht empfohlen. Und immerhin entwickelt etwa ein Drittel der Patienten mit Typ-2-Diabetes im Verlauf ihrer Erkrankung eine Nierenschwäche. Dapagliflozin benötigt aber funktionsfähige Nieren, um wirken zu können. Zudem sollten Patienten über 75 Jahre und solche, die bestimmte Entwässerungsmittel einnehmen, kein Dapagliflozin erhalten. Weiterhin kommt es unter seinem Einsatz etwas häufiger zu Genital- und Harnwegsinfekten. Im Einzelnen beraten Ärzte und Apotheker über Einschränkungen bei der Anwendung des neuen Blutzuckersenkers.

Bisher fehlen Daten, wie gut Dapagliflozin auf Dauer die Gesundheitsrisiken eines Diabetikers senken kann, beispielsweise im Hinblick auf Herz-Kreislauf-Leiden. Und es müssen noch mehr Erfahrungen zur Langzeitsicherheit des Arzneistoffs gewonnen werden, fordert die europäische Arzneimittelagentur EMA. Dabei geht es auch um die Frage, ob eine längerfristige Gabe eventuell ein erhöhtes Blasen- oder Brustkrebsrisiko mit sich bringt. Insgesamt jedoch bewertet die EMA den Nutzen des Mittels nach bisheriger Datenlage höher als mögliche Risiken.

Dr. Frank Schäfer

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