Arzneimittel: Vielfach-Könner gefragt

Die Arzneimittel-Entwicklungen der letzten Jahre haben Typ-2-Diabetikern und deren Ärzten ein breites Spektrum an Therapiemöglichkeiten eröffnet.

Seniorin mit mehreren Tabletten in ihrer Handfläche
© bernanamoglu - Fotolia

Noch immer steht ein Klassiker auf Platz eins der Therapie des Typ-2-Diabetes: das Metformin. Nicht ohne Grund, denn das Medikament senkt nicht nur zuverlässig den Blutzucker, sondern birgt auch kein Unterzuckerungsrisiko, führt nicht zu einer Gewichtszunahme und erhöht die Sterblichkeit nach derzeitigem Wissensstand nicht. Metformin ist weltweit als Mittel der ersten Wahl anerkannt. Nach einer jüngst von Christian Bannister und Kollegen von der Universität Cardiff veröffentlichten Auswertung von Patientendaten aus Großbritannien haben Typ-2-Diabetiker, die Metformin als erstes Mittel erhalten, sogar eine um 15 Prozent längere Überlebenszeit, verglichen mit Menschen ohne Diabetes.

Nicht mehr Standard

Ebenfalls Klassiker sind die sogenannten Sulfonylharnstoffe, zu denen unter anderem die Wirkstoffe Glibenclamid, Glimepirid und Gliclazid gehören. Allerdings sind sie mit weniger günstigen Eigenschaften ausgestattet. Der Blutzucker sinkt, weil diese Arzneistoffe dafür sorgen, dass die insulinproduzierenden Zellen Insulin ausschütten. Allerdings bleibt den Zellen keine Zeit zur Erholung und Regeneration. Das erschöpft sie derart, dass irgendwann die Insulinproduktion vollends ausbleibt. Ein Ende, zu dem die Krankheit Typ-2-Diabetes bei vielen Betroffenen zwar auch von allein führt. Jedoch gehen Experten davon aus, dass Sulfonylharnstoffe den Weg dorthin beschleunigen. Weitere Nachteile: Unterzuckerungen treten auf, viele Patienten nehmen an Gewicht zu, und in Untersuchungen finden sich Hinweise darauf, dass Sulfonylharnstoffe die Sterblichkeit erhöhen. In der oben genannten Studie zeigte sich, dass Typ-2-Diabetiker, die statt Metformin einen Sulfonylharnstoff bekamen, statistisch betrachtet 38 Prozent weniger lang leben als Kontrollpersonen. Der Vorteil der Sulfonylharnstoffe im kränkelnden Gesundheitswesen: Sie sind kostengünstig.

Langsamer Blutzuckeranstieg

Alpha-Glukosidasehemmer, wie Acarbose, hemmen im Darm das Enzym, das Kohlenhydrate aus der Nahrung in kleine Glukosebausteine zerlegt. Nur in dieser Form gelangen Kohlenhydrate aus dem Darm in die Blutbahn und liefern Energie. Alpha-Glukosidasehemmer verhindern steile Blutzuckeranstiege. Die Substanz bereitet jedoch Magen-Darm-Beschwerden, wenn man von Anfang an eine hohe Dosis einnimmt. Zudem weiß man heute, dass sich ein langsamer Glukoseanstieg auch durch den Verzehr von Ballaststoffen erreichen lässt. In Asien finden alpha-Glukosidasehemmer in niedrigen Konzentrationen breiten Einsatz.

An der Wurzel des Übels

Von den sogenannten Glitazonen steht in Deutschland eines zur Verfügung: das Pioglitazon, das in vom Arzt begründeten Fällen verordnet werden darf. Im Jahr 2010 war Rosiglitazon, der erste Vertreter der Substanzgruppe, vom Markt genommen worden, weil es Hinweise auf eine erhöhte Sterblichkeit durch das Medikament zu geben schien. Mittlerweile hat die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA Rosiglitazon wieder rehabilitiert, und US-Ärzte dürfen den Wirkstoff wieder verschreiben, ohne die Patienten dazu für eine spezielle Risikoermittlung anmelden zu müssen.

Glitazone steigern die Insulinempfindlichkeit der Körperzellen, hemmen die Glukoseneubildung in der Leber und fördern den Glukoseabbau. So senken sie den Blutzucker. Besonders älteren Frauen kann eine Glitazon-Nebenwirkung jedoch zum Verhängnis werden: die Verringerung der Knochenstabilität. Die Gefahr für Brüche steigt.

Moderne Mittel mit Mehrfachnutzen

Sogenannte Inkretine wie Exenatide und Liraglutid (Inkretinanaloga) sowie Sitagliptin, Vildagliptin und Saxagliptin (Inkretinverstärker) gehören zu den modernen Diabetes-Arzneimitteln. Inkretinanaloga wirken wie das Inkretinhormon GLP-1 im Darm. Inkretinverstärker hemmen dessen Abbau.

GLP-1 regt die Insulinfreisetzung an, verzögert die Magenentleerung und unterdrückt die Freisetzung von Glukagon, einem Gegenspieler des Insulins. Zusätzlich hemmt GLP-1 den Appetit. Inkretin-Arzneistoffe fördern die körpereigene Insulinausschüttung bedarfsgerecht. Deshalb erschöpfen sich die insulinproduzierenden Zellen nicht durch die Behandlung. Außerdem ist das Risiko für Unterzuckerungen bei Inkretinen sehr gering. Darüber hinaus steigt das Gewicht unter diesen Medikamenten nicht an, sondern sinkt eher etwas.

Das neueste Mittel gegen Typ-2-Diabetes, das Dapagliflozin, treibt Zucker mit dem Harn aus dem Körper. Dazu hemmt es ein Enzym in den Nieren, das normalerweise dafür sorgt, dass Zucker im Körper zurückgehalten wird und ihm damit weiter als Energielieferant zur Verfügung steht. Das Enzym heißt SGLT-2, die entsprechenden Arzneistoffe SGLT-2-Hemmer. Der Mechanismus hat Vorteile: Weil mit dem Zucker auch Kalorien ungenutzt den Körper verlassen, können die so Behandelten leichter abnehmen. Zucker bindet zudem Wasser. Die Urinmenge steigt dadurch an, der Körper verliert etwas mehr Wasser, etwa so, als bekäme man ein harntreibendes Mittel. Durch die erhöhte Wasserausscheidung nimmt der Druck im Gefäßsystem ab, der Blutdruck – bei Typ-2-Diabetikern sehr oft zu hoch – sinkt. Die Befürchtung, die großen Zuckermengen in der Harnblase könnten Bakterien- und Pilzinfektionen im Harn- und Genitalbereich Vorschub leisten, bestätigte sich nur in geringem Umfang. Eine gute Körperhygiene scheint dazu beizutragen, derartige Infektionen zu verhindern. Über die Kostenerstattung von SGLT-2-Hemmern besteht in Deutschland Uneinigkeit.

Was fehlt ersetzen

Insulin kommt immer dann zum Einsatz, wenn mit anderen Mitteln der angestrebte HbA1c-Wert nicht mehr erreicht werden kann. Das spricht dafür, dass die insulinproduzierenden Zellen gänzlich erschöpft sind. Der Ersatz von Insulin ist dann die einzig richtige Maßnahme. Verschiedene Insuline und Therapieregime stehen zur Verfügung. Der Arzt wählt anhand weiterer Krankheiten und der Lebensumstände des Patienten die passende Variante aus.

Apothekerin Isabel Weinert

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