Was versteht man eigentlich genau unter veganer Ernährung?
Althaus: Bei dieser Ernährungsweise verzichtet man komplett auf tierische Nahrungsmittel wie Fleisch, Fisch, Geflügel, Eier, Milch und Milchprodukte sowie Honig. Es gibt Veganer, die auch abseits der Ernährung jegliche Produkte vom Tier ablehnen, zum Beispiel Schuhe oder Kleidung aus Leder.
Worin besteht der Unterschied zur vegetarischen Ernährung, die ja auch ohne Fleisch auskommt?
Althaus: Vegetarische Ernährung ist der Oberbegriff für verschiedene Formen der fleischfreien Ernährung. Menschen mit Diabetes, die auf Fleisch verzichten möchten, empfehlen wir in unserer Sprechstunde die sogenannte ovo-lacto-vegetabile Ernährung. Dabei wird kein Fleisch und Geflügel verzehrt, aber Milch, Milchprodukte und Eier gegessen. Wir empfehlen zudem, regelmäßig Fisch zu essen. Mit der ovo-lacto-vegetabilen Ernährung inklusive Fisch, kann man alle Nährstoffe in ausreichender Menge aufnehmen.
Kann diese Art der Ernährung Einfluss auf den Blutzucker-Stoffwechsel haben?
Althaus: Ja, denn die vegane Ernährung ist allgemein sehr kohlenhydratreich. Dieser Nährstoff beeinflusst den Blutzucker nach den Mahlzeiten am meisten. Diabetiker müssen darauf achten, die Kohlenhydrate mit Fett und Eiweiß zu kombinieren, da diese beiden Nährstoffe die Aufnahme der Kohlenhydrate vom Darm ins Blut verzögern. So kann ein schneller Blutzuckeranstieg verhindert werden, und die Werte schießen nach dem Essen nicht unkontrolliert in die Höhe. Wenn man also Vollkornprodukte isst, kombiniert man diese am besten mit Gemüsesorten, die viel Eiweiß enthalten. Fette können über die Verwendung pflanzlicher Öle, Nüsse oder Ölsamen wie Kürbis- und Sonnenblumenkerne aufgenommen werden. Wenn sich Menschen mit Typ-1- oder Typ-2-Diabetes vegan ernähren möchten, können sie bei optimaler Nahrungsmittelauswahl und idealer Kombination von Nahrungsmitteln gute Blutzuckerwerte erreichen.
Das klingt sehr aufwändig.
Althaus: Das ist es auch. Man braucht viel Fachwissen, um sich gesund vegan zu ernähren, und die Zubereitung der Mahlzeiten ist teilweise aufwändiger als bei der klassischen Mischkost. Doch wer sich bewusst vegan ernährt, ist sicher auch bereit, mehr Zeit in den Einkauf und die Zubereitung seiner Speisen zu investieren.
Kann man Diabetikern auch zu veganer Ernährung raten?
Althaus: Bisher gibt es keine Langzeitstudien, die den Effekt veganer Ernährung bei Menschen mit Diabetes untersuchen. Wir wissen also momentan nicht, ob sich diese Ernährungsform günstig auswirkt. Die Diabetes-Fachgesellschaften in Deutschland und den USA sprechen sich nach wie vor für eine ausgewogene Mischkost aus, die Fleisch, Geflügel, Fisch, Milchprodukte und Eier enthält. Zudem muss man wissen, dass bei einer veganen Ernährung das Risiko für eine Mangelernährung steigt.
Welche Nährstoffe sind dabei besonders kritisch?
Althaus: Es kann Probleme mit der Eiweiß- und Eisenzufuhr geben. Gerade Eisen wird aus tierischen Produkten vom Körper oft besser aufgenommen als aus pflanzlichen Quellen. Beim Calcium, das in Milch- und Milchprodukten vorkommt, und bei Jod aus Fisch kann es eng werden. Die Vitamine B2 und D sind ebenfalls überwiegend in tierischen Lebensmitteln enthalten. Am problematischsten ist das Vitamin B12, das sich kaum in veganer Kost findet und über Präparate aus der Apotheke ersetzt werden muss. Bei den anderen Nährstoffen kann man versuchen, gezielt alternative pflanzliche Nahrungsmittel herauszusuchen, die diese Inhaltsstoffe liefern. Calcium ist zum Beispiel in grünem Gemüse wie Grünkohl, Brokkoli, Fenchel, Hülsenfrüchten, Sesamsamen, Haselnüssen und calciumreichen Wasser enthalten. Sojaprodukte sind häufig mit Calcium angereichert. Man braucht eben ein gutes Ernährungswissen, um die richtigen Produkte auszuwählen.
Wie kann man feststellen, ob ein Nährstoffmangel besteht, wenn man vegan lebt?
Althaus: Bei begründetem Verdacht kann man sein Blut untersuchen lassen, um zu klären, ob die Ernährung richtig gestaltet ist oder ein Mangel vorliegt. Am besten bespricht man das mit dem behandelnden Arzt. Generell abgeraten wird die vegane Ernährung für Säuglinge, Kleinkinder, Jugendliche, Senioren sowie Schwangere und Stillende, denn alle diese Gruppen haben einen speziellen oder erhöhten Nährstoffbedarf.
Vielen Dank für das Gespräch!
Die Fragen stellte Apotheker Rüdiger Freund.